Folgen des Beutezugs
Michael Sommer rekapituliert die Kriege Roms gegen Karthago
Der Althistoriker Michael Sommer ist ausgesprochen interessiert am Zeitgeschehen. Auf seinem Facebook-Profil kommentiert er leidenschaftlich die tagespolitischen Scharaden zwischen links und rechts. Sommer, der den „Konservatismus zur Gegenkultur“ aufsteigen sieht, weil sich seit dem Mauerfall zwar flächendeckend liberale Ideen durchgesetzt hätten, aber zugleich der Liberalismus abgeschafft sei, gehört zum neu gegründeten „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ (F.A.Z. vom 4. und 10. Februar 2021) das sich aus rund siebzig Professorinnen und Professoren zusammensetzt und der sogenannten „Cancel Culture“ entgegentritt. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ beklagte Sommer unlängst, momentan greife an der Universität ein „gewisser Opportunismus und Konformitätsdruck“ um sich.
Eingedenk solcher Interventionen, ließe sich vermuten, Sommer könnte eine Monographie über „Roms Kriege gegen Karthago“ für mehr oder weniger geheime Kassiber politischer Pädagogik nutzen. Tatsächlich jedoch berichtet er mit ausdauernder Genauigkeit und quellenkritischer Hingabe von den „komplexen“ Kriegen und ihren bündnispolitischen Konsequenzen, vom Kräftemessen zweier Mächte, das 264 vor Christus als kleiner Beutezug begann und sich über die Jahre zum „totalen Krieg“ steigerte, in dem es nur noch um die völlige Vernichtung des Gegners ging.
Der Konflikt zwischen Karthago und Rom wird bei Sommer zu einer Fallstudie über die Struktur historisch gewachsener Machtverhältnisse. Er folgt keiner globalen Theorie, stellt auch keine provozierenden Thesen auf, sondern schildert minutiös und dicht an den antiken Quellen den Verlauf des zweiundvierzigjährigen Kriegsgeschehens. Seine Art des Schreibens kommt ohne besondere Zuspitzungen oder Spannungsbögen aus; von einem „Drama“, das im Vorwort in Aussicht gestellt wird, hat seine Darstellung nichts. Im Gegenteil könnte man sagen, dass Sommer das Kunststück gelingt, den zigfach beschriebenen und immer wieder neu aufgeladenen Dualismus zwischen der Landmacht Rom und der Seemacht Karthago undramatisch und unprätentiös darzustellen.
Nie lässt er sich von seinem Stoff mitreißen, immer bleibt er der nüchtern zurückhaltende Betrachter. Eine pauschale Antwort auf die Frage, warum Rom über Karthago siegte, braucht man hier also nicht zu erwarten. Allerdings bietet Sommer subtile Hinweise, indem er immer wieder auf sein am Oldenburger Lehrstuhl entwickeltes Konzept (das er eben nicht „Theorie“ nennt) des „Bewährungsraumes“ anspielt, den sich römische Aristokraten suchen mussten, um erfolgreich ihre Tugendhaftigkeit zu beweisen.
Ohne Kriege keine Bewährung, daher ist jede Abstimmung über Krieg und Frieden in Roms Senat auch eine über die Zukunftschancen ambitionierter Imperiumsträger. Die Unvereinbarkeit beider Mächte sieht Sommer somit auch in der „mentalen Asymmetrie zwischen einem maritimen Imperium und einer Wehrgemeinschaft der Bürger und Bundesgenossen“ begründet.
Auch beim Auftritt Hannibals bleibt Sommer bei seiner Darstellungstaktik, zählt dessen Kriegselefanten und berichtet von jedem Tag seiner Alpenüberquerung. Die für die Römer traumatische Schlacht von Cannae schildert er auf genauso vielen Seiten wie die karthagischen Kriegszüge in Iberien oder Massinissas Herrschaftskampf um ein ungeteiltes Numidien. Und selbst „Catos Ceterum“ oder „Scipios Tränen“ – sonst die unausweichlichen Höhepunkte jeder Monographie zum Thema – werden hier fast en passant erwähnt und als literarische Stilisierung des beteiligten Zeitzeugen Polybios gewertet.
Das, was den Regeln der akademischen Tradition nach zuerst kommen sollte – der Forschungsüberblick und die Leitfragen –, kommt hier zum Schluss anstelle einer emphatischen Gesamtbewertung des Geschehens. Bis zuletzt hält Sommer den „homo politicus“ in sich zurück, fragt nur vorsichtig, wie unser Europa wohl heute aussähe, hätte Hannibal damals gesiegt. Wer den forschen Sommer will, muss auf Facebook gucken – dieses Buch hat der besonnene Forscher geschrieben. SIMON STRAUSS
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